In unserer Rubrik „Das Ohr an der Pflege“ stellen wir Menschen und Einrichtungen vor, die zeitgemäße Konzepte entwickeln, um die Pflegebranche weiterzuentwickeln und zu stärken. Das Thema „Diversität in der Pflege“ spielt dabei auch eine wichtige Rolle. Vielfalt ist in der Pflege allgegenwärtig: Ob in den Pflegeteams, wo viele Menschen mit unterschiedlichen ethnischen, religiösen oder sexuellen Hintergründen arbeiten oder bei den Pflegebedürftigen, die unterschiedliche kulturelle Hintergründe mitbringen. Das führt zu ganz neuen Herausforderungen. Über die Aspekte der Vielfalt in der Pflege haben wir mit Ralf Schäfer gesprochen. Er ist Beauftragter für Diversität und queere Lebensweise der Sparte „Wohnen & Pflegen“ der Immanuel Albertinen Diakonie.
BL: Wie definieren Sie den Begriff „LSBTIQ*- kultursensible Pflege“ und warum ist sie wichtig?
Ralf Schäfer: Kultursensibel bedeutet, die individuelle Biographie eines Menschen anzuerkennen, darauf ein- zugehen und die daraus resultierenden Bedürfnisse in der Pflege zu berücksichtigen. Um nun LSBTIQ* (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter*) kultursensibel zu pflegen, ist es darüber hinaus erforderlich, Kenntnisse über diese Lebenswelt zu haben. Diese unterscheidet sich oft durch unterschiedliche Rollenbilder, Wertevorstellungen, Sprache oder Symbolik. Außerdem ist es erforderlich, genau hierfür offen zu sein, sich selbst zu reflektieren und sich vielleicht auch den eigenen Ängsten vor dem Unbekannten zu stellen und sie abzubauen. Letztendlich geht es um die Anerkennung und den Respekt gegenüber den zu Pflegenden.
BL: Warum haben Sie sich auf den Weg zu einer inklusiven Pflege gemacht?
Ralf Schäfer: Viele Menschen aus der LSBTIQ*-Community haben nun das Alter, in dem sie auf professionelle Pflege angewiesen sind. Oft haben sie Ängste vor Pflegeeinrichtungen. Einige haben in ihrem Leben bereits Diskriminierung und Kriminalisierung erfahren und fürchten, erneut Diskriminierung zu erleben. Andere haben aktiv um ihre Rechte gekämpft und möchten sich nun nicht erneut rechtfertigen müssen. Und es gibt die Gruppe, die offen ihre Identität gelebt hat und dies im Alter auch deutlich einfordert. Aus diesen Aspekten heraus ergab sich für uns die Notwendigkeit, sich auch für die Belange von LSBTIQ* zu öffnen und dem Anspruch einer inklusiven Gesellschaft auch im Pflegebereich gerecht zu werden.
BL: Welche Erfahrungen haben Sie mit diversitätssensibler Pflege in der Immanuel Seniorenzentrum Schöneberg gemacht (zunächst als Leiter, jetzt als Beauftragter)?
Ralf Schäfer: Die Haltung in der Einrichtung hat sich verändert. Die Auseinandersetzung mit den Lebenswelten und den sich daraus ergebenden speziellen Bedürfnissen sowie deren Ängsten in Bezug auf eine Pflegebedürftigkeit haben für Umdenken und Wertschätzung gesorgt. Außerdem haben wir ein besseres Arbeitsklima und eine bessere Kommunikation der Mitarbeitenden erreicht.
BL: Welche Aspekte müssen Pflegeeinrichtungen beachten, wenn sie ihre Häuser in Richtung diversitätssensibler Pflege verändern? Was sind die Herausforderungen?
Ralf Schäfer: Zunächst ist es wichtig, die Mitarbeitenden und die Bewohnenden in den Prozess einzubinden. Dazu gehören auch die Hauswirtschaft oder Hausreinigung. Dafür sind strukturelle Anpassungen erforderlich, und das alles sollte vom Qualitätsmanagement begleitet werden. In der Außendarstellung müssen Änderungen in Broschüren oder auf der Website umgesetzt werden. Nicht nur hinsichtlich einer gendersensiblen Sprache, sondern auch in Bezug auf Symbole, mit denen sich queere Menschen identifizieren. Hinzu kommen queere Angebote der Betreuung für die Bewohnenden innerhalb der Einrichtung.
Nicht zu unterschätzen sind die Zeitressourcen, die für diesen Prozess benötigt werden. Gerade die Schulungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen für die Mitarbeitenden sollten kontinuierlich angeboten werden, denn Haltungsarbeit braucht Zeit. Angesichts des Pflegekräftemangels ist das die größte Herausforderung.
BL: Wie können Einrichtungen eine inklusive Pflegeumgebung schaffen bzw. sicherstellen, dass sie die individuellen Bedürfnisse älterer Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, Religionszugehörigkeit oder sexueller Orientierung angemessen berücksichtigen?
Ralf Schäfer: Wie bei einer LSBTIQ*-sensiblen Pflege geht es im Hinblick auf ethnische Herkunft oder Religion ebenfalls um Wahrnehmung und Anerkennung, also um Kultur- bzw. Diversitätssensibilität. Es ist daher wichtig, die Mitarbeitenden zu befähigen, mit Vielfalt in ihren täglichen Arbeitsroutinen umzugehen. Dafür ist es erforderlich, mit den Mitarbeitenden im Gespräch zu bleiben und sie in ihrer transkulturellen Kompetenz zu stärken. Diversitätssensibel heißt letztendlich, sich in andere hineinversetzen zu können, aufgrund ihrer individuellen Merkmale Bedürfnisse zu erkennen und Widersprüche auszuhalten, wenn diese nicht mit den eigenen Wertevorstellungen übereinstimmen.
Nach einer Ausbildung zum Krankenpfleger studierte Ralf Schäfer Pflegemanagement.
Es folgten Wohnbereichsleitung, Pflegedienstleitung und Heimleitung des Immanuel Seniorenzentrums Berlin-Schöneberg. Mittlerweile ist er Beauftragter für Diversität und queere Lebensweise der Sparte „Wohnen & Pflegen“ der Immanuel Albertinen Diakonie.
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